Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.
Wir sagen Danke, dass wir diese Storys auf unserer Seite "Leben in Portugal" veröffentlichen dürfen.
Teil 6: Die Verstaatlichung der Banken
Eine der politischen Folgen der Nelkenrevolution war die Verstaatlichung der Banken und anderer Schlüsselindustrien, die später rückgängig gemacht wurde.
Ein Rückblick zeigt die wechselvolle Geschichte des Finanzwesens in Portugal auf. Sie begann mit der Schaffung einer Staatsbank: Die Banco de Portugal entstand im Jahre 1846 durch königliches Dekret als Aktiengesellschaft. 45 Jahre später erhielt sie das alleinige Recht auf die Emission von Banknoten, die sie zuvor mit anderen Geldinstituten teilte.
Nach nationalen und internationalen Wirtschaftskrisen wurde die Bank 1931 faktisch an Weisungen der Regierung gebunden und war für die Finanzierung des Staates zuständig. Das blieb die Banco de Portugal, bis sie nach der Nelkenrevolution 1974 als erstes Geldinstitut verstaatlicht wurde. Andere Banken wurden erst im Folgejahr 1975 Eigentum der Republik Portugal.
Vor der Nelkenrevolution sei „das Bankenwesen einem einfachen Prinzip gefolgt“, schreibt der Autor und Journalist Miguel Sousa Tavares: „Jede hochgestellte Familie, die eng mit dem Salazar-Regime verbunden war, besaß ihre eigene Bank.“ Nach der Revolution erhielt die Banco de Portugal erhielt eine Satzung, die erstmals im Lande einer Bank die Kontrollfunktion über alle anderen Finanzinstitute zuwies.
Die Nelkenrevolution brachte zudem die Verstaatlichung der Schlüsselindustrie: Öl, Stahl, Elektrizität, Transport und Versicherungen. Die Regierung sicherte sich über einen Staatsfonds auch an vielen Kleinbetrieben einen Mehrheitsanteil. Bei der Agrarreform wurde eine geschätzte Million Hektar Land, das Großgrundbesitzern gehörte, enteignet und an Kooperativen verteilt. Schließlich wurden alle Banken nationalisiert, die ausschließlich Portugiesen gehörten. Das „Bankwesen im Dienste des Volkes“, so ein Motto aus der Revolutionszeit, präsentierte sich den Bürgern in Gestalt von „mürrischen, schlecht gekleideten Genossen, die uns am Schalter abfertigten, als täten sie uns einen gewaltigen Gefallen“, so Tavares, der die Revolution als 22-jähriger Jurastudent erlebte.
Foto. H. Bilawer. Der 25. April 2974 und die folgenden Monate waren voller Hoffnung auf bessere Zeiten.
Die Verstaatlichung der Banken stellte die junge Demokratie bald vor schwere Probleme, da sie so viele Bereiche der Wirtschaft kontrollierten, dass gut zwei Drittel des portugiesischen Bruttosozialprodukts direkt oder indirekt unter Regierungskontrolle standen. Im Wahlkampf für das Präsidentenamt 1980 kam es darüber zum offenen Konflikt: Die konservative Regierung des Premierministers Francisco de Sá Carneiro wollte, anders als der zur Wiederwahl stehende, von verschiedenen Parteien unterstützte Präsident António Ramalho Eanes, zahlreiche Entwicklungen der Nelkenrevolution rückgängig machen, darunter auch die Verstaatlichungen. Sie hatten bewirkt, dass ausländische Investoren sich aus Portugal zurückzogen und das Land den Anschluss an die Weltwirtschaft verlor.
1989 schließlich kam es zu Verfassungsänderungen: Klauseln, die die Endgültigkeit der Verstaatlichungen festschrieben, wurden aufgehoben. In der Folge wurden viele Industrien und Banken reprivatisiert. Auch die Staatsbank wurde reformiert und näherte sich in Aufgaben, Struktur und Geldpolitik den übrigen europäischen Zentralbanken an. In der Folge habe das portugiesische Bankwesen sich so modernisiert und international konkurrenzfähig entwickelt, dass „der Sektor Anlass zu Stolz sein sollte und nicht zu Kritik“, so der Wirtschafts-Journalist Pedro Santos Guerreiro.
Eine Anekdote beschreibt das moderne Bankwesen Portugals
Nach der Finanzkrise Ende der 2000er Jahre allerdings kursierte diese kleine Geschichte als Sinnbild des portugiesischen Finanzwesens:
Vier Jungen kauften bei einem Bauern einen Esel für hundert Euro. Als sie das Tier am folgenden Tag abholen wollten, sagte der Bauer ihnen, der Esel habe das Zeitliche gesegnet. Das Geld könne er auch nicht zurückgeben, er habe es ausgegeben. Die vier bestanden auf die Herausgabe des toten Huftiers und erklärten, sich das verlorene Geld anderweitig wiederzubeschaffen, und zwar indem sie den Esel verlosen würden, ohne dabei zu verraten, das er nicht mehr lebe.
Wenig später traf der Landmann das Quartett und fragte nach der Verlosung. Fünfhundert Lose zu je zwei Euro hatten sie verkauft, mithin tausend Euro eingenommen, so berichteten sie. Ob sich denn niemand beschwert habe über den offensichtlichen Betrug, fragte der Bauer und erhielt die Antwort: „Doch. Der Sieger hat protestiert. Wir haben ihm seine zwei Euro zurückerstattet.“
Die Wirtschaftskrise nach 2008
Die Wirtschaftskrise und die Folgeentwicklung in den USA sowie die Pleiten der portugiesischen Banken BPP und BPN (letztere wurde Ende 2008 verstaatlicht) hatten Verstaatlichungen wieder zum politischen Thema gemacht. José Brandão de Brito, inzwischen emeritierter Professor an der Lissabonner Hochschule für Wirtschaft und Verwaltung (ISEG), warnte: Eine Verstaatlichung von Pleitebanken sei eine „Belohnung für die Arroganz derer, die sich durch die Verletzlichkeit der Märkte bereichern wollten“. Es sei „unglaublich ungerecht, wenn Steuerzahler für das bezahlen, was in den Führungsetagen der Banken betrügerisch verursacht wurde“, so Brandão de Brito.
Die Pleitebank BPN hinterließ insgesamt 1,8 Milliarden Euro Schulden und nicht, wie vor der Verstaatlichung errechnet, „nur" 700 Millionen. Manuel Meira Fernandes, Autor eines Buches über die Bankenkrise („Zu viel Staat, zu wenig Aufsicht“) konstatierte, „die Wirtschaftsprüfer haben ihre Arbeit schlampig erledigt oder waren nicht unabhängig“, wie es das Gesetz über Verstaatlichungen vorschreibt. Bei den seither erfolgten europaweiten Stresstests der Banken (zuletzt Anfang dieses Jahres) erwiesen sich die portugiesischen Banken stets als stabil.
Die oben stehende Anekdote um den toten Esel hat übrigens eine Fortsetzung: „Die vier Jungs sind inzwischen erwachsen. Einer hat eine Bank gegründet, der andere ein großes Unternehmen, der dritte eine Religionsgemeinschaft und der vierte ist Chef einer politischen Partei.“
50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 1
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