Sie haben ein paar Postkarten geschrieben und müssen nun zur Postfiliale, um die entsprechenden Briefmarken zu kaufen. Sie wissen, dass Briefmarke selo heißt und sind deshalb guter Dinge: wird schon alles klappen! Sie haben nur das kleine Problem, dass Sie nicht einfach an den Schalter durchmarschieren können, sondern – wie fast überall in Portugal – eine Nummer ziehen müssen. Das an sich ist zwar eine Kleinigkeit, nur: Im Postamt steht ein Nummern-Ausgabeautomat mit diversen Auswahloptionen. Und Sie haben leider nicht die geringste Ahnung, welchen Knopf Sie für Ihr Anliegen drücken müssten. Dasselbe ist’s in der Apotheke, ja sogar im Supermarkt. Überall dort steht nämlich nicht nur ein Knöpfchen zur Auswahl, sondern bis zu vier.
Wenn's nur überall so einfach wäre und man nur eine einzige Nummer ziehen müsste...
„Woher bitte“, so fragen Sie sich ärgerlich, „soll ich wissen, welcher der für meine Angelegenheit richtige ist?!“ Sie haben zwar Ihren kleinen Sprachführer dabei, sind aber nicht willens, ein dickes Wörterbuch mit sich rumzuschleppen, um all das nachschlagen zu können, was Ihnen der Automat da so an Auswahlmöglichkeiten lässt. Vor allem nicht, wenn Sie mal schnell ein paar Briefmarken holen oder fürs Abendessen einkaufen wollen. Im Supermarkt stellen Sie mit leichtem Entsetzen fest: Eine senha muss man an der Fleisch-, Käse-, Wurst- und Brottheke ziehen. Jeweils, versteht sich. Und an der Fischtheke gibt es sogar zwei unterschiedliche Nummernautomaten: einen „normalen“ und einen andersfarbigen.
Langsam haben Sie genug: Sie haben diese senhas ziemlich satt. Und keinen Bock, sich lange anzustellen – und das für jede frische Lebensmittelsorte einzeln und extra. Da muss es doch andere Möglichkeiten geben, schneller dranzukommen? Vordrängeln ist unfein, das wissen Sie ja schon. Aber vielleicht mit einem Lächeln drum bitten, dass man vorgelassen wird in der ach so langen Schlange? Klappt bei Obst und Gemüse doch auch. Da gibt es merkwürdigerweise nämlich keine senha zu ziehen, da reiht man sich „einfach so“ ordentlich vor der Waage auf und es geht alles schnell und problemlos.
Die Vorteile des Nummernziehens…
Meine Freundin Adriana konnte damals nicht verstehen, weshalb ich mich in meiner ersten Zeit in Portugal über die ewige Nummerzieherei aufregte. „Ist doch praktisch“, meinte sie. „Schau mal, wenn du eine Nummer ziehst und merkst, dass du noch lange nicht dran kommen wirst, erledigst du eben deine anderen Einkäufe.“
„Und wenn dann die Nummer kommt und ich nicht da bin?“ motzte ich. „Geht dann nicht alles wieder von vorne los?“
„Aber nein“, beruhigte mich Adriana. „Du zeigst dann einfach deine Nummer – und jeder wird dich vorlassen. Das klappt immer! Zumindest dann, wenn du dich in der tolerância de senhas befindest – also nicht grad schon vor zehn Nummern dran gewesen wärst.“
Tolerância de senhas? Was sollte denn das nun wieder sein?! Ich war langsam am Verzweifeln.
„Über der aufgerufenen Nummer steht meist“, erklärte mir Adriana geduldig, „wie viele senhas du auslassen darfst, also um wie viele du dich ‚verspäten‘ darfst. Bei Behörden sind das bis zu drei Zahlen, in Supermärkten bis zu fünf. Und wenn du trotzdem mehr hast, dann klappt’s schon mal mit einem freundlich-bittenden Lächeln…“
Was aber tun, wenn man keine lange Einkaufsliste hat? Dann machen Sie es wie die Portugiesen: Sie bummeln entweder durch den Laden. Oder genießen eine bica und ein pastel de nata dazu. Nehmen Sie’s ruhig und gelassen… Sie haben doch Urlaub!
Adriana klärte mich übrigens auch darüber auf, aus welch geheimnisvollem Grunde es an der Fischtheke gleich zwei Nummern-Zieh-Automaten mit Zettelchen in unterschiedlichen Farben gibt: An der einen Schlange stellt man sich an, wenn man den Fisch „im Ganzen“ kauft. Und an der anderen, wenn man ihn „geputzt“, also geschuppt und ausgenommen haben möchte.
Der Text "Ständig muss man Nummern ziehen" stammt - mit freundlicher Genehmigung der Autorin - aus dem Buch
"Korkesel & Sardinenblüte. Handbuch für den Urlaub in Portugal"
ISBN: 978-3-946223-02-3 Printausgabe € 12,-- /eBook € 5,99)
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