Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.

Wir sagen Danke, dass wir diese Storys auf unserer Seite "Leben in Portugal" veröffentlichen dürfen.

Teil 13: Zwei Lieder als Startsignal für den Aufstand gegen die Diktatur

Kaum bekannt, aber dennoch wichtig:
Es gab zwei Lieder, die der "Startschuss" für die Revolution am 25. April 1974 waren.
Bereits um 22:55 Uhr am 24. April 1974 wurde das Lied E Depois do Adeus vom Sender Emissores Associados de Lisboa ausgestrahlt - und damit der Befehl gegeben, dass sich die Truppen bereithalten sollten. 
Das tatsächliche Signal zum Verlassen der Kaserne kam um 00:20 Uhr vom mittlerweile von den Soldaten der MFA (Movimento das Forças Armadas) besetzten Rádio Renascença: Zunächst wurden die Strophen des Lieds Grândola, Vila Morena von Zeca Afonso vom Radiosprecher verlesen, danach wurde das Lied, gesungen von Zeca Afonso, zweimal in voller Länge abgespielt. Grândola, vila morena war als Lied selbst zwar nicht verboten, wohl aber hatte der Sänger Zeca Afonso Auftrittsverbot in Portugal. Für die Zuhörer am heimischen Radio war dies in jedem Fall ein deutliches Zeichen, dass "etwas im Gange ist": Die Zeitung República hatte schon am Vorabend für Eingeweihte den kleinen Hinweis gebracht, das Musikprogramm der Nacht sei besonders lohnend. Für die Soldaten war das Lied Zeca Afonsos das vereinbarte Signal für den Beginn des Aufstands gegen die Diktatur. 

     
E Depois do adeus war Teilnehmer am RTP-Songfestival und konnte gefahrlos gesendet werden, anders als Grândola, Vila Morena, dessen Schöpfer in der Diktatur nicht auftreten durfte. Ursprünglich war ein anderes Lied von Zeca Afonso geplant gewesen, nämlich Venham mais cinco. Erst am Montag vor dem 25. April 1974 stellte man fest, dass dieses Lied tatsächlich verboten und außerdem im Archiv von Radio Renascença keine Schallplatte mit diesem Lied vorhanden war.

Die immerwährende Hymne des Aufstands gegen die Diktatur

Beide Lieder sind bei den Portugiesen unvergessen. Aber Zeca Afonsos Kampflied Grândola Vila Morena wurde zur Hymne nicht nur der Nelkenrevolution. Auch in anderen Ländern: Im Februar 2013 wurde das Lied in Madrid auf dem Platz Puerta del Sol gesungen. In Portugal erklang es immer wieder als Protest gegen die Regierung: etwa bei einer Rede des damaligen portugiesischen Ministerpräsidenten Pedro Passos Coelho im portugiesischen Parlament im Februar 2013 gestört - als Demonstration gegen die Sparpolitik von Regierung und Troika. Oder Anfang März 2013, als Hunderttausende das Lied auf den landesweiten Protestaktionen gegen die Sparpolitik sangen. 

  

 

 

Zeca Afonso - der musikalische Held der Nelkenrevolution

Allzu kurz währte das Leben von José Manuel Cerqueira Afonso dos Santos, bekannt unter seinem Kurznamen Zeca Afonso: Er wurde nur 57 Jahre alt. Über die Landesgrenzen hinaus bekam sein Name Geltung, als das von ihm gesungene Lied Grândola, Vila Morena in der Nacht zum 25. April 1974 im Radio als Signal für den Aufstand gegen das faschistische Salazarregime gesendet wurde. Zeca Afonso wurde zum Symbol der Nelkenrevolution, war aber weit mehr als bloß deren Tongeber.

Am 2. August 1929 in Aveiro als Sohn eines Richters und einer Grundschullehrerin geboren, wies Zeca Afonsos Biografie zunächst den Weg in eine bürgerliche Zukunft. Sein Leben und seine Überzeugungen machten ihn allerdings zum Gegner der Diktatur und Kämpfer für die Freiheit. Einen Teil seiner Jugend verbrachte er mit seiner Familie in den damaligen portugiesischen Kolonien Angola und Mosambik. Zurück in Portugal, lebte er zunächst im Hause seines Onkels Filomeno, der als Bürgermeister des zentralportugiesischen Örtchens Belmonte ein glühender Anhänger von Salazar und dem spanischen Diktator Franco war und zudem ein Verehrer Hitlers. Zeca Afonso beschrieb später diese Zeit als „die unglücklichste und hoffnungsloseste meines Lebens“.

1940 zog er nach Coimbra, wo er die Schule beendete und zu studieren begann. Bald dominierte Zeca Afonso in der Universitätsstadt die Fadoszene. Dabei entwickelte er einen eigenen Stil, der sich von traditionellen Mustern absetzt und betont poetisch ist. Text und Musik seiner Lieder stammen fast alle von ihm selbst. Er vertonte aber auch Bertold Brechts Lehrstück „Die Ausnahme und die Regel“ und Gedichte bekannter Landsleute, darunter der Dichter und Politiker Manuel Alegre.

1953 nahm Zeca Afonso seine erste Schallplatte auf, fühlte sich aber berufen, wie seine Mutter Kinder zu unterrichten und tat dies später unter anderem in Setúbal, Aljustrel, Lagos und Faro. Erfahrungen aus seiner Zeit in der Algarve finden sich in Liedern wie Ó Vila de Olhão und Os Índios da Meia Praia.

Ein Leben für den Widerstand

Zeca Afonso kehrte 1964 zurück nach Mosambik, um seinen Lehrerberuf dort auszuüben. Er wurde Zeuge des Widerstandes der Bevölkerung gegen die Kolonialherren, was ihn für seinen weiteren Lebensweg beeinflusste. 1967 kam Zeca Afonso zurück nach Portugal und wurde bald zu einem der bedeutendsten Sänger der Opposition gegen die Diktatur. 1968 schloss man ihn deshalb vom Schuldienst aus; zum Broterwerb blieb ihm nur der Nachhilfeunterricht, den er gelegentlich geben konnte.
Wegen seiner Kontakte zur Opposition im Untergrund wurde er mehrfach festgenommen, die Geheimpolizei PIDE überwachte jeden seiner Schritte und seine Treffen mit Freunden. Seine Musik konnte er nur im Ausland aufnehmen. Er war in der sich langsam wieder organisierenden Gewerkschaftsbewegung aktiv und solidarisierte sich mit progressiven Studenten. Im ganzen Land ist er zu jener Zeit bereits eine Ikone der portugiesischen Kultur.

Perspektiven für eine Liberalisierung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse erhofften sich die Menschen in Portugal von der 1969 beginnenden Phase, die in den Geschichtsbüchern als Primavera marcelista ("Marcelistischer Frühling") bezeichnet wird: Diktator Salazar hatte nach einem Unfall, an dessen Folgen er später sterben sollte, die Regierungsgeschäfte an Marcelo Caetano abgegeben - fünf Jahre vor der Nelkenrevolution.

Das Lied Grândola, Vila Morena, war nicht verboten, also jenes Lied, welches Afonso 1970 nach einem Besuch in der Alentejostadt geschrieben hatte. Zeca Afonso selbst allerdings hatte in Portugal Auftrittsverbot. Gràndola galt als ein Zentrum des kommunistischen Widerstands gegen das Regime. Die Ballade Zeca Afonsos, um 1971 in Paris aufgenommen, machte Grâdola unsterblich.

In Grândola ist Zeca Afonsos Lied als Denkmal verewigt. 

Zeitzeugen berichten von den Auftritten, allein oder gemeinsam mit anderen Politbarden, dass  Zeca Afonso, ein nicht sehr großer, scheu wirkende Mann mit einer dicken Brille das gesamte Geschehen dominierte. Parteipolitisch ließ er sich indessen nie vereinnahmen, lehnte die Mitgliedschaft in der kommunistischen PCP ebenso ab wie spätere Auszeichnungen und Ehrenmedaillen des portugiesischen Staates: „Ich will mich nicht zu einer Institution machen lassen“, sagte er, als der damalige Staatspräsident Mário Soares ihm den Ordem da Liberdade verleihen wollte.

Auch nach der Nelkenrevolution blieb er ein wacher Beobachter der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in seinem Heimatland. Er unterstützte Politiker, die „den Geist der Nelkenrevolution wach halten“, kämpfte mit den Journalisten des Zeitung República gegen die Schließung des Presseorgans in einer Zeit, als die Revolution begann, ihre eigene Geschichte zu ignorieren, und schrieb mit Versen wie Os Meninos Nazis gegen die Geschichtsblindheit nachfolgender Generationen an.

Zeca Afonso unterstützte Projekte zur Selbstverwaltung, er sang im In- und Ausland, seine Tourneen führten ihn auch nach Deutschland, wo er 1976 einen Internationalen Schallplattenpreis erhielt.
In Portugal vereinnahmen viele die Kulturlegende Zeca Afonso: Die Stadt Aveiro, weil er dort geboren ist; Coimbra, wo seine künstlerische Karriere begann, und Orte im Alentejo, wo sein Herz den Landarbeitern gehörte. Und aktuelle Künstler, von Fado-Altstar Carlos do Carmo bis hin zu Jazz- und Rockmusikern adaptieren seine Lieder. Die heutige moderne portugiesische Musik klänge ohne ihn vermutlich anders.

Hier der Text auf Portugiesisch und Deutsch:

Die Einnahmen aus dem Verkauf von 14 Langspielplatten mit volkstümlich-politischen Liedern verschenkte der Sänger an die Armen aus der Bauernregion Alentejo und aus den industriellen Vorstädten Lissabons.

Zeca Afonso starb am 23. Februar 1987 in der Hafenstadt Setúbal an einer degenerativen Krankheit des motorischen Nervensystems. Zu jener Zeit war er selbst verarmt.

Auch kapp vierzig Jahre nach seinem Tod ist die Beschäftigung mit dem Portugiesen José Afonso als Dichter in ihrer Ausrichtung nach wie vor thematisch auf die Musik fokussiert und mit der Nelkenrevolution verbunden.  

 

Und hier die deutsche Textfassung: 

 

50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 1

50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 12 

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