Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.
Wir sagen Danke, dass wir diese Storys auf unserer Seite "Leben in Portugal" veröffentlichen dürfen.
Teil 9: Die Hungerrevolte auf Madeira 1931
Die April-Revolte am 25.4.1974 war nicht die erste im totalitären Portugal.
Bereits am 4. April 1931 hatte auf der Insel Madeira ein Volksaufstand begonnen, ausgelöst durch die Unzufriedenheit der Inselbewohner mit ihrer wirtschaftlichen Lage. Oppositionelle Militärs, die nach Madeira deportiert worden waren, griffen die Stimmung auf und nahmen Regierungs-Vertreter gefangen. Die öffentliche Verwaltung gelangte in die Hand der Revolutionäre. Kontakte zu Oppositionsgruppen auf den Azoren und dem Festland entstanden. Innerhalb der Bewegung gab es jedoch zu viele verschiedene Strömungen, was ein geschlossenes Handeln unmöglich machte. Die Revolte dauerte bis zum 2. Mai, als sich General Adalberto Gastão de Sousa Dias, der Führer der Revolutionäre, den Truppen ergeben musste, die die Zentralmacht vom Festland geschickt hatte.
Militär und Einheimische auf der Avenida Dr. Manuel Arriaga während der "Hungerrevolte" auf Madeira vom 4. April bis 2. Mai 1931
Gab es eine "Generalprobe" für die Revolution?
Der Tag der Nelkenrevolution, der 25. April des Jahres 1974, war nicht der erste geplante Termin für den Aufstand. Bereits am 16. März hatte es einen Putsch-Versuch gegeben. An jenem Tag verließ eine Militärkolonne das Regiment in Caldas da Rainha und zog in Richtung Lissabon; es sollte von weiteren Regimentern aus Lamego, Mafra und Vendas Novas begleitet werden. Doch eine Rebellion in Lamego änderte die Pläne: Die Mission wurde abgebrochen und die beteiligten Militärs verhaftet.
Mehr dazu Die Generalprobe für die Nelkenrevolution
Wissenswertes zum 25. April 1974
Es heißt, der 25. April 1974 sei eine Revolution ohne Blutvergießen gewesen, was nicht ganz stimmt. Am Ende dieses Tages, der übrigens ein Donnerstag war, zogen viele Menschen zum Hauptquartier der Geheimpolizei PIDE und forderten das Ende dieser Staatspolizei mit ihrem die Gesellschaft durchdringenden Netz von Informanten und Spitzeln. Doch die PIDE-Schergen wehrten sich und schossen in die Menge. Dabei gab es vier Tote und mehrere Verletzte.
Marcelo Caetano, amtierender Premierminister bis zur Nelkenrevolution, verließ nach der Kapitulation seiner Regierung die Carmokaserne in Lissabon in einem gepanzerten Militärfahrzeug namens Bula vom Typ Bravia Chaimite, gebaut in Portugal als nicht lizenzierte Modifikation des Cadillac Cage Commando, der in Portugal zusammengebaut und später mit einigen technischen Änderungen hier in Serienproduktion ging und jahrelang ein portugiesisches Exportgut war, und der auch in den Kolonialkriegen des Landes eingesetzt wurde.
Die Nelkenrevolution brachte auch Deutern unbekannter Flugobjekte neuen Aufwind. Der Historiker Joaquim Fernandes verfasste eine Studie über die Einbildungskraft rund um außerirdisches Leben, die die Jahre 1908 bis 2000 erfasst, und stellte fest, dass nach dem 25.4.1974 eine wahre Flut von Veröffentlichungen zu UFOs einsetzte, die auf Portugiesisch OVNI heißen (objeto voador não identificado). Vor der Nelkenrevolution habe es wenige Berichte dazu gegeben, die zudem ausschließlich den staatlichen Medien vorbehalten waren. Wie in vielen anderen Bereichen, so Fernandes, habe sich die Gesellschaft nach der Nelkenrevolution zunächst auf alles gestürzt, was zuvor unliebsam oder sogar verboten war, ganz gleich, ob seriös oder nebulös. Fernandes hat 700 Berichte analysiert und 320 Personen befragt, die Beobachtungen gemacht haben wollen. Zwei von drei Befragten seien „erstaunlich klar gewesen und hätten mittlerweile das Beobachtete relativiert.“
Mit dem 25. April 1974 endete die längste Diktatur im 20. Jahrhundert in Europa. Die Nelkenrevolution war Auftakt zu einer Ära, die auch in anderen Teilen Europas Freiheit brachte: Das griechische Obristen-Regime fiel im gleichen Jahr, die Franco-Diktatur in Spanien im Jahr darauf.
Der 25. April ist der jüngste staatliche Feiertag Portugals.
50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 1