Dieses Jahr begeht Portugal das 50. Jubiläum der Nelkenrevolution. Der friedliche Umsturz befreite das Land von der Diktatur und markiert gleichzeitig das Ende der letzten westlichen Kolonialmacht. Veranstaltungen dazu gibt es landesweit bereits zahlreich und bis 2026 kommen weitere dazu.
Die "Journalistin, Übersetzerin, Lektorin, Dozentin, Kulturvermittlerin" - wie sie sich selbst nennt - Henrietta Bilawer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit portugiesischer Kultur, Landeskunde und Historie; seit Ende Januar 2024 hat sie etliche "(Vor)Geschichten hinter der Geschichte" veröffentlicht.

Wir sagen Danke, dass wir diese Storys auf unserer Seite "Leben in Portugal" veröffentlichen dürfen.

Teil 5: Die Situation der Frauen vor und nach dem 25. April 1974

Frauen gehörten in den 48 Jahren der Diktatur vom Mai 1926 bis zum 25.April 1974 zu den nahezu Rechtlosen im Lande. Ihr Leben war noch mehr als das der Männer durch die Prägung des klerikal orientierten Ständestaates bestimmt. Der Tag der Nelkenrevolution brachte das Gefühl der Freiheit auf die Straßen und änderte fortan das gesellschaftliche Bild der Menschen. In den folgenden Monaten gab es zahlreiche Demonstrationen, um die neu gewonnene Freiheit auszuleben und dabei auch zu manifestieren, welche Aufgaben die Lenker der neuen Ordnung erfüllen sollten.
Männer und Frauen kamen gemeinsam zu diesen Kundgebungen, um ein Land zu idealisieren, in dem ihre Meinung zählen würde. Einige Frauen betrachteten das Geschehen und stellten sich im Rausch des neuen Gesellschaftsgefühls die Frage: „Jetzt, wo wir die Freiheit haben, was machen wir damit?“, erinnert sich die inzwischen 91-jährige Journalistin und Schriftstellerin Maria Antónia Palla und zitiert ihre französische Kollegin Bénoîte Groult: „Frauen sind die Vergessenen aller Revolutionen“.

Frauen waren gesellschaftlich äußerst benachteiligt und hofften auf Freiheit; schließlich hatten viele Frauen zur Zeit der Nelkenrevolution noch immer kein Wahlrecht: Nur jene Frauen konnten es wahrnehmen, die „älter als 21 Jahre sind, lesen und schreiben können sowie Familienoberhäupter sind“. Das heißt: Wollte ein Frau wählen, musste sie minderjährige Kinder haben und verwitwet sein; Scheidungen waren schließlich unmöglich. Und selbst wenn eine Frau die formalen Bedingungen zur Ausübung des Wahlrechts erfüllte, durfte sie nur für Abstimmungen zu Gemeinderäten und mit einer Bescheinigung über die eigene moralische Eignung an die Urne gehen.

Erst im Jahr 1968 wurde das Wahlrecht für die Nationalversammlung per Gesetz auf alle Bürger ausgedehnt, die lesen und schreiben konnten, unabhängig davon, ob sie männlich oder weiblich waren. In einem Land, in dem der Analphabetismus zu jener Zeit bei über 30 Prozent lag, trug dies nicht wesentlich zur Erhöhung der Wahlbeteiligung bei.


Ein Poster aus der Zeit des Estado Novo, das wahlberechtigte (also privilegiert berechtigte) Frauen aufruft, für den Diktator António Salazar zu stimmen. Der Tenor des Textes mahnt jeweils nach der Aufzählung der Annehmlichkeiten des Frauenlebens: „Das verdankst du Salazar!

Gesetze für Männer - und gegen die Frauen: der alte Kodex des Estado Novo 

Das auch im Estado Novo geltende Strafgesetzbuch (Código Penal) von 1886 sah in Artikel 372 als Strafe für einen Ehemann, der seine Frau beim Ehebruch ertappt und sie oder den Liebhaber oder beide tötet, lediglich eine sechsmonatige Verbannung in einen anderen Bezirk vor (freilich wurde einer betrogenen Ehefrau das gleiche Recht eingeräumt, allerdings nur, wenn der Ehemann seine Geliebte in der ehelichen Wohnung untergebracht hatte).

Im Estado Novo wurde die Rolle der Frau in der klassischen Position der Hausfrau definiert: Die Frau war Ehefrau und Helferin für ihre Kinder und ihren Mann. Abgesehen von den häuslichen und mütterlichen Pflichten, die ihr auferlegt wurden, wurde die portugiesische Frau von der Gesellschaft nur wenig gefördert. Nur eine kleine, privilegierte Gruppe von Frauen aus dem Kreis der politisch einflussreichen Familien hatten Zugang zu höherer Bildung und Ausbildung. Die übrigen Frauen arbeiteten in der Regel nur, wenn der Ehemann verstorben war oder wenn ihnen aus purer finanzieller Not keine andere Möglichkeit blieb. Ihre geschlechter-spezifische Benachteiligung mit einem Lohngefälle von 40 Prozent bei gleicher Arbeit gegenüber den Männern war offenkundig.

Es wurde kaum etwas getan, um die sexuelle und reproduktive Gesundheit der Frau zu gewährleisten. Abtreibung wurde mit einer Gefängnisstrafe von zwei bis acht Jahren geahndet, und die Werbung für Verhütungsmittel sowie deren Verschreibung durch Ärzte war streng verboten. Die Gesetze, die die Frauen im Estado Novo betrafen, betrachteten sie als bloßes Beiwerk des Mannes; der Mann sollte im Mittelpunkt stehen. Der Frau war es verboten, von ihrem Partner getrennt zu leben, der seinerseits allerdings sogar die Post der Frau öffnen durfte.

Die Journalistin Maria Antónia Palla konstatiert, dass 48 Jahre Gängelung und ausbeuterische Gesetze nicht an einem Tag aus der portugiesischen Gesellschaft und aus den Köpfen verschwinden. Auch nach der Nelkenrevolution bedeutete „Freiheit“ nicht sofort dasselbe für alle Teile der Gesellschaft. Die Frauen, die an den Demonstrationen vom 25.April teilnahmen, taten dies zwar mit der gleichen Hoffnung wie die Männer, doch entwickelte sich die Gesellschaft zunächst in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Während sich die Männer sofort in einem freien Land wiederfanden, sahen sich die Frauen an die Gesetze gekettet, die sie in der Vergangenheit gefesselt hatten, sowie an überkommene gesellschaftlichen Modelle.

Die Stellung der Frauen nach der Nelkenrevolution 

Die Initiatoren der Nelkenrevolution hatten bei der Planung ihrer Aktionen nicht an die Befreiung der Frau und die Wiederherstellung ihrer rechtlichen Position in der Gesellschaft gedacht. Die von der Opposition am weitesten verbreitete Idee war die des Klassenkampfes. Feministische Ideale wurden beiseite gelassen, da sie oft und noch recht lange als Anliegen rein bürgerlicher Kreise betrachtet wurden.


Demonstrierende kurz nach der Nelkenrevolution

Zunächst wurden daher nach dem 25. April rasch Maßnahmen ergriffen, damit Frauen eine eigene rechtliche und soziale Identität leben konnten: Alle Beschränkungen, die Frauen noch am Wahlrecht hinderten, wurden in wenigen Monaten beseitigt. Positionen, die zuvor Männern vorbehalten waren, wurden für Frauen geöffnet. 


Frauen vor einem Wahllokal zur ersten freien Wahl im Jahr 1976 (Bilder: Hemeroteca de Lisboa; Diário de Notícias)

Im Jahr 1975 wurde die Ehescheidung zugelassen und die Ermordung einer Frau durch einen Mann, sei es wegen Ehebruchs oder aus anderen Gründen, zu einer Straftat. Im selben Jahr wurde Gleichheit des Wahlrechts für Frauen und Männer in der Landesverfassung verankert. Ab demselben Jahr hatten Ehemänner nicht mehr das Recht, die Post ihrer Frauen zu öffnen; die Dauer des Mutterschaftsurlaubs wurde auf 90 Tage verlängert und in den Gesundheitszentren eine Beratung zur Familienplanung für Mütter und Kinder eingeführt. Die Abtreibung ist allerdings erst seit 2007 legal.

Viele Frauen, die vor 50 Jahren bereits alt genug waren, um die Zeit vor und die nach der Nelkenrevolution zu erinnern, fühlen sich trotz der Entwicklungen immer noch an das gebunden, was von der vor-revolutionären Ära übrig geblieben ist und in der Gesellschaft und in vielen Köpfen tief verwurzelt scheint. Schuld, so sagen einige, seien nicht zuletzt Frauen selbst. Vergleiche man das Streiten der Hälfte der Bevölkerung um gleiche Rechte, gleiche Bezahlung und gleiche Chancen im Berufsleben nicht nur in Portugal, so sei leicht festzustellen, dass viele Frauen, die sich das Etikett „Feministin“ anheften, tatsächlich ihre Zeit und ihre Energie mit Symbolpolitik verschwendeten, statt die immer noch vorhandenen Ungleichgewichte anzugehen.

Trotz drohender Verhaftung, Verbannung oder anderer Formen der Bestrafung gab es auch im Estado Novo genügend Beispiele für weibliche Zivilcourage. Ein Auszug aus einer langen Liste - vor allem Demonstrationen gegen Hunger und Ungerechtigkeiten bei der Verteilung von Lebensmitteln:
• Im Mai 1943 fanden in vielen Städten des Landes unter Beteiligung von Frauen Hungermärsche für Brot und Frieden statt.
• In São João da Madeira bei Aveiro drohten Frauen, die Glocken zu läuten, wenn der zu verteilende Mais nicht an die Bedürftigsten verteilt würde.
• In der Stadt Santa Maria da Feira gingen Frauen auf einen Hungermarsch und fordern die Gemeindeverwaltung auf, rationierte Lebensmittel gerecht zu verteilen.
• In Braga führten Frauen einen Hungermarsch zum Rathaus durch, riefen nach Brot und schwenkten die schwarze Flagge.
• In Lissabon stürmten Frauen aus Marvila einen Lebensmittelladen, in dem aus Sägemehl hergestellte Würste verkauft wurden, und vernichteten die Ware.
• In der Gemeinde Loures marschierten die Frauen gegen den Hunger und für Brot zum Rathaus.
• Am 8. Mai 1945 organisierten die Frauen eines Stadtviertels von Viana do Castelo eine Demonstration, die die ganze Stadt mobilisierte, um das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Niederlage des Nazismus zu feiern und dabei auch gleich den Sturz der eigenen Regierung zu fordern.
• Genau ein Jahr später organisierten sie in Redondo einen Marsch gegen den Hunger, protestierten gegen den Mangel an Lebensmitteln und forderten Brot.
• Im Mai 1954 schließlich wird bei einem Hungermarsch in Baleizão im Alentejo, Catarina Eufémia, die Sprecherin der Landarbeiterinnen, von einen Nationalgardisten erschossen. Dieser Mord blieb in Erinnerung und hat Symbolkraft, da zahlreiche portugiesische Dichter das Schicksal der jungen Frau in ihren Werken verarbeiteten.
• Im Mai 1962 schließlich setzte eine Welle von Streiks und Demonstrationen der Landarbeiter in Alentejo und Ribatejo unter intensiver Beteiligung von Frauen den 8-Stunden-Arbeitstag durch.

Teil 1 von "50 Jahre Nelkenrevolution - Geschichten hinter der Geschichte" 

50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 2 

50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 3 

50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 4 

50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 6 

50 Jahre Nelkenrevolution: Geschichten "hinter der Geschichte" - Teil 7

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